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30.07.2015

Der gemeinsame Nenner

“Weißt du, David, eigentlich würden wir uns jetzt gerade in Alaska den Arsch abfrieren.”

meint Conrad, während wir auf einem Felsband,
hoch über dem Schluchtgrund des Zion Canyon,
die Vorzüge des gemäßigten Klimas der Wüste genießen.

Latent Core, Zion 2015

Mit dem Auto darf man hier im Nationalpark nicht fahren, dafür macht ein Shuttlebus die Runde. Die Besucher steigen am “Pullout” aus, staunen über die senkrechten Sandsteinwände, die an allen Seiten empor ragen, steigen wieder ein und fahren weiter - erst zum nächsten “Pullout” und dann meistens zum nächsten Nationalpark. Conrad und ich hingegen sind schon eine ganze Weile hier.

Conrad Anker ist eine amerikanische Kletter- und Bergsteigerlegende. 1990, in dem Jahr, in dem ich geboren wurde, waren er und sein Lehrmeister Mugs Stump in Zion gewesen und hatten die bis heute gefürchtete Rodeo Queen an der steilen und wie mit einem Skalpell abgeschnitten glatten Streaked Wall erstbegangen. Es gibt wohl kaum ein Gebiet in dem Conrad nicht schon seine Spuren in Form von Erstbegehungen hinterlassen hat.

Persönlich kennen gelernt hatten wir uns noch nie, aber in den letzten Jahren waren wir immer wieder in Kontakt. Wir tauschten Ideen aus und irgendwann entschieden wir uns, gemeinsam klettern zu gehen.

Alaska war ein naheliegendes Ziel: Drei, vier Wochen auf den endlos langen Gletscherzungen würden uns genügen um ein paar alpine Routen zu klettern und uns richtig kennen zu lernen, um dann, in Zukunft, vielleicht sogar einmal gemeinsam im Himalaya bergsteigen zu gehen. Schlussendlich ließen unsere Kalender aber keine Alaska-Expedition zu und wir trafen uns im Zion Nationalpark.

Gleich nach dem ersten Händeschütteln schlug Conrad vor, dass wir den Moonlight Buttress, einen der größten Klassiker des Gebiets, klettern sollten.

Er würde mich sichern und ich versuchen die Route on-sight zu klettern. Ich war jedoch nicht besonders interessiert daran die hundertste Begehung dieser Tour zu machen. Ich hatte das Gefühl, eine neue, noch ungekletterte Linie würde unserer Kletter-DNA viel eher entsprechen. Falls wir einen gemeinsamen Nenner haben würden, wäre es die Leidenschaft für Erstbegehungen.

In den frühen 90er Jahren, zu einer Zeit als ich noch im Strampelanzug unterwegs war, versuchte sich Conrad an einem Big Wall am Temple of Sinewava. Gemeinsam mit Doug Heinrich kletterte er fünf Seillängen, bevor die Schwierigkeiten der Wand die Beiden zum Abseilen zwang. Dabei verhängte sich eines ihrer Seile und die Route blieb mehr als 20 Jahre unvollendet. Wir planten nun die Route zu Ende zu führen und das Seil zu entfernen.

Während wir immer noch auf unserem Felsband sitzen zieht Conrad Bilanz: „Die ersten fünf Seillängen haben wir schon hinter uns. Steigst du weiter voraus?“ Ich nicke nur und hänge mir Friends, Klemmkeile und Normalhaken auf meinen Gurt um ins Neuland zu klettern. In der Zwischenzeit beginnt Conrad das Seilchaos auf unserem Standplatz zu organisieren. Dann klettere ich los.

Mit allen möglichen Tricksereien arbeiten wir uns immer weiter nach oben. Unser Blick ist rein auf die Erstbegehung gerichtet und es kümmert uns nicht, ob wir frei oder technisch klettern.

Latent Core, Zion 2015

Am Anfang der siebten Seillänge ist der Riss, dem unsere Route folgt, für einige Meter unterbrochen und Conrad muss eine Bohrhakenleiter in den Fels schlagen. Im Nationalpark sind Bohrmaschinen verboten und somit bleibt uns nichts anderes übrig als in mühsamer Handarbeit einen Haken nach dem anderen zu setzen. Stundenlang sichere ich Conrad, bis wir endlich wieder in ein System aus Rissen und Verschneidungen kommen.

Latent Core, Zion 2015

Für die letzten drei Seillängen bis zum Gipfel brauchen wir nochmals zwei volle Tage. Es regnet, ist kalt und der Sandstein wird immer bröseliger, doch die Freude an unserer gemeinsamen Erstbegehung überwiegt.

Latent Core, Zion 2015

Wir nennen unsere neue Route Latent Core – ein Wortspiel das sich nicht nur auf das hängengebliebene Seil und den lange Zeit unfertigen Zustand der Tour bezieht, sondern auch auf einen Helden des amerikanischen Kletterns – den kürzlich verstorbenen Layton Kor. Seine bekannteste Neutour, die Südwand des Washington Column im Yosemite Nationalpark, hat gleich wie unsere Erstbegehung eine kurze Bohrhakenleiter um eine glatte Passage zu überwinden. Während Conrad per Hand einen Haken nach dem anderen setzte, musste er an den Kor denken, der beim Bohren im harten Granit noch wesentlich länger im Gurt gehangen hat.

Zwischen Conrad und mir liegt mindestens eine Generation, aber die Leidenschaft zum Klettern und Bergsteigen verbindet uns und noch heuer im Herbst werden wir wieder gemeinsam unterwegs sein.

Latent Core, Zion 2015
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