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03.04.2018

Betrifft: Entdeckergeist

Via Google Earth ist die ganze Welt nur einen Mausklick entfernt. Trotzdem gibt es noch genug weiße Flecken für reale Abenteuer.

Die großen Entdecker hatten es gut: Als Pioniere wie Ferdinand Magellan oder Robert Falcon Scott in See stachen, konnten sie komplett unbekanntes und ungleich größeres Terrain erkunden als wir heute.

Aus den großen, weißen Flecken auf der Landkarte von damals sind kleine, unerforschte Pixel bei Google Earth geworden. Wer im 21. Jahrhundert Kolumbus spielen möchte, muss wohl Astronaut werden – oder Alpinist. Denn ich glaube, dass man den eigenen Entdeckergeist gerade in den Bergen heute noch ausleben kann.

Peter Ortner und ich waren 2012 aus Patagonien von unserer erfolgreichen Cerro Torre-Expedition zurückgekehrt, als er mir ein Foto von der gewaltigen Loska Stena-Nordwand in den Julischen Alpen in Slowenien schickte. Im Gegensatz zum berühmten Cerro Torre ist diese schattige Kalkwand vergleichsweise unbekannt und jegliche Besteigung würde trotz ihrer Schwierigkeit und Ernsthaftigkeit nie über eine mediale Randnotiz hinauskommen. Dies spielte für Peter und mich allerdings überhaupt keine Rolle.

Unser ganzes Interesse galt einem noch unerschlossenen Wandteil, der ein hohes Maß an Ungewissheit und Abenteuer versprach. Als wir nach Slowenien aufbrachen, drehten sich unsere Gedanken nur um die vor uns liegende Erstbegehung, und das damit zu lösende Rätsel.

In den Julischen Alpen bekamen wir, wonach wir gesucht hatten: Der Fels war extrem geschlossen und wir konnten kaum Haken als Sicherungspunkte schlagen. Oft verdeckte loser Schnee die wenigen Strukturen, die ein Weiterkommen ermöglichten. Wir fühlten wir uns in der Wand viel schneller verloren als uns lieb war. Weder der Gipfel, noch der Einstieg schienen in Reichweite, um uns herum brach es steil ab, und es war kein klarer Weg ersichtlich.

Spätestens als wir – entgegen unserem ursprünglichen Plan – zum zweiten Mal in der Route biwakieren mussten, hatte uns die Ungewissheit zur Improvisation gezwungen. Dieses am Bildschirm kleine und wenig beachtete Pixel erwies sich als groß genug für ein ordentliches Abenteuer. Es brachte Angst und kalte Zehen mit sich und war damit genau das, wonach wir uns gesehnt hatten. Wir waren schon zufrieden, bevor wir den Gipfel erreicht hatten.

Genau dieser Entdeckergeist war und ist die Motivation jeder Reise ins Unbekannte – egal, ob es sich um eine endlose Eiswüste, einen unbestiegenen Berg oder persönliches Neuland handelt, in das wir bei der Wiederholung eines Klassikers beim Klettern vordringen. Deshalb sind auch die Einsichten, die solche Reisen mit sich bringen, ähnlich: Entdecken heißt Erfahren und Erleben und das findet nicht in Büchern oder am Computer statt.

Sind es vor dem Aufbruch vor allem Fragen wie „Was werden wir finden?“ die uns losziehen lassen, so sind es auf lange Sicht die dort gefundenen Erkenntnisse über uns selbst, die uns antreiben. Diese unbekannten Pixel zu erforschen ist für mich ein entscheidender Grund überhaupt in die Berge zu gehen.


Ein wenig beachtetes
Pixel brachte Angst
und kalte Zehen.

Als Kolumne erschienen im Magazin Bergwelten

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