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28.07.2015

Betrifft: Scheitern

Niemand beginnt seine alpine Karriere in der Gipfelwand des Cerro Torre. Und doch bildete ich mir genau das ein. Als erfolgsverwöhnter Wettkampf-Kletterer erklärte ich im Jahr 2009 diesen 3.000 Meter hohen Granitzinken zu meinem nächsten Ziel. Und es ging mir nicht um irgendeine Besteigung: Ich wolle dem Torre gleich die erste freie Begehung seiner legendären „Kompressorroute“ abringen. Dort an minimalen Felsstrukturen, bei sehr bescheidener Absicherung und inmitten der Hexenküche des patagonischen Wetters zu klettern, hatte schon einige namhafte Alpinisten scheitern oder ihre Ambitionen wieder verwerfen lassen. Was genau es aber bedeutet den Torre frei zu klettern und wie weit ich anfänglich vom Erfolg entfernt war, wusste ich damals noch nich

Ganz objektiv betrachtet war meine erste Expedition ein richtiger Flopp. Ich kam im ersten Jahr nicht einmal in die Nähe des Gipfels und von Freiklettern konnte überhaupt keine Rede sein. Da ich den Mund sehr voll genommen hatte, erntete ich damals jede Menge Spott. Das schmerzte und machte mir schnell klar, dass ich jetzt zwei Möglichkeiten hatte: Ich konnte den Kopf in den Sand stecken und zum Sportklettern zurückkehren. Dort hatte ich mein gewohntes Umfeld und würde keinesfalls nochmals so abblitzen. Der andere, für mich aber viel reizvollere Ansatz war es, in die Analyse zu gehen und mich auf den Lernprozess, den ich selbst ins Rollen gebracht hatte, einzulassen. Das würde wohl weitere Rückschläge mit sich bringen – so realistisch war ich mittlerweile. Ich sah darin aber die Chance, einen nächsten Schritt in meiner Entwicklung zu machen.


„Erfolg heißt nicht den Gipfel zu erreichen, sondern meinen eigenen Ansprüchen gerecht zu werden.“


Scheitern ist gerade beim Klettern ein vertrauter Bestandteil des Prozesses. Ob beim Training in der Halle, beim Bouldern oder beim Sportklettern: Stürze oder gescheiterte Versuche sind ein Zwischenschritt am Weg zum Ziel. Das stimmt auch fürs klassische Bergsteigen, wobei man hier meist nicht so gefahrlos Limits überschreiten kann.

Die vielen kleinen Projekte sind es dann auch, die das eigene Tun in seiner Gesamtheit weiterbringen. In dem Moment, wo wir aufhören zu probieren, wachsen wir nicht mehr. Nur um den „Erfolg“ zu garantieren, wird oft vom ambitionierten „Plan A“ zum einfacheren „Plan B“ gewechselt. Doch Erfolg bedeutet für mich nicht einfach nur den Gipfel eines Berges zu erreichen. Es heißt viel mehr, dass ich meinen eigenen Ansprüchen gerecht werde. Wenn wir uns so leichtfertig mit bescheideneren Zielen zufrieden geben, betrügen wir uns nur selber. Denn es ist der gelebte Mut zu scheitern, der den Unterschied macht!

Für mich selber war das Projekt „Cerro Torre“ rückblickend so wertvoll, weil es so weit außerhalb meiner eigenen Komfortzone stattfand und ich viel alpine Erfahrung nachholen konnte und musste. Lange Zeit war der Ausgang komplett offen. Erst als ich Strukturen im Fels entdeckte, war klar, dass die Route kletterbar ist. Es lag jetzt also an mir und den passenden Verhältnissen.

Drei Jahre sollte es dauern, bis ich meine Chance bekam. Und ich nützte sie. Mein Traum vom Cerro Torre konnte Wirklichkeit werden, weil ich bereit war zu scheitern und nie aufgegeben hatte.

Als Kolumne erschienen im Magazin Bergwelten

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