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12.04.2017

Betrifft: Verzicht

Im Bergsteigen verläuft die Grenze zwischen noblem Verzicht und Zielstrebigkeit fließend.

Am Berglsteiner See in Tirol konnte ich letztes Jahre eine Route erstbegehen, die mein Freund Florian Klingler 10 Jahre vorher entdeckt hatte. Die ungeschriebene Regel beim Sportklettern besagt, dass derjenige, der eine mögliche Linie erkennt und sie mit Haken versieht, das Vorrecht auf die Erstbegehung hat. Die Route im unteren 11. Schwierigkeitsgrad war ihm anfänglich deutlich zu schwer, aber er probierte sie gelegentlich, steigerte sein Niveau und kam der Sache näher. Dann brach ein wichtiger Griff aus und mit ihm schien das Ziel wieder in weite Ferne zu rücken. Er erkannte, dass die Route im neuen Zustand außer Reichweite lag. Es blieb die Option den Griff künstlich zu rekonstruieren, oder aber mit der Route abzuschließen und sie jemand anderem zu überlassen. Er entschied sich für zweiteres und sah davon ab, seine Linie für sich selber möglich zu machen. Weil er auf die Route verzichtete, hatte ich die Gelegenheit, mich in der Tour in ursprünglichem und ungekletterten Zustand auszutoben, und sie auch durchzusteigen.

Florians Verzicht auf die Route bedeutete den Erhalt der Spielwiese, die dieses kleine Stück Fels für Kletterer darstellt. Auch im Bergsteigen ist es nicht anders, die Grenze zwischen noblem Verzicht und Zielstrebigkeit verläuft fließend. Es wird über die Zulässigkeit von bestimmten Hilfsmitteln schon lange kontrovers diskutiert, der Verzicht auf die "Krücken" des Expeditionsstils wird von Puristen favorisiert. Worauf soll man verzichten? Auf Sauerstoff? Auf Bohrhaken? Seit den Fünfziger Jahren beschränkten sich manche Bergsteiger bei ihren Zielen im Himalaya auf Linien, die im reinen Alpinstil - also ohne Träger, Sauerstoff usw. - machbar waren. Auf die schwierigsten Wände verzichteten sie. Andere stellten den Zweck nach wie vor über die Mittel, und ihnen gelangen es, neue technische Schwierigkeiten zu erschließen. Eine gesunde Entwicklung braucht glaube ich beide Ansätze. Die eine Schule zeigt einen idealen Stil auf; die andere zeigt, was grundsätzlich möglich ist. Jeder Weg für sich genommen würde wohl in eine Sackgasse führen, aber beide zusammen halten die Balance.

Den Everest ohne Sauerstoff zu besteigen war glaube ich auch deshalb möglich, weil jeder wusste: Einen so hohen Berg kann man besteigen, und die Route ist bekannt. Die Pioniere hatten diesen Grundstein gelegt, auch indem sie nicht auf Sauerstoff verzichteten. Andere hatten an ein bisschen weniger hohen Bergen den Alpinstil weiterentwickelt. Den Beiden gelang es, das zu kombinieren.

Für mich ist die Einhaltung der eigenen Ideale wichtiger als ein Gipfel.

Der Erfolg meines eigenen Bergsteigens hängt für mich nicht nur damit zusammen, welche Projekte ich schaffe, sondern ob ich in einem Stil unterwegs bin, in dem ich mich kreativ ausdrücken kann. Deshalb werde ich es nicht sein, der im Expeditionsstil schwierigste Wände auf Achttausendern belagert. Natürlich ist es in Anbetracht schwindender Chancen bei einem Langzeitprojekt niemals leicht, sich so einzuschränken, wie man es anfangs vielleicht vorhatte. Wäre z.B. nach mehreren Versuchen ein vorbereitetes Zwischenlager ein akzeptabler Kompromiss an einem hohen Berg?

Sollte ich zum Beispiel an meinem Traumprojekt Masherbrum an der Weggabelung ankommen, an welcher der Verzicht auf das Ziel die noblere Variante ist, so hoffe ich, dass ich das akzeptiere und verzichte.

Irgendwer in der Zukunft wird dankbar sein, eine noch weiße Leinwand vor sich zu haben. Denn die ist es schließlich, die den Alpinismus ausmacht, und auch die nächsten Generationen werden etwas davon haben wollen.

Als Kolumne erschienen im Magazin Bergwelten

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