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15.08.2014

Ein gewichtiges Experiment

“Es ist das Gewicht, nicht die Anzahl an Experimenten, das beachtet werden muss.”
Isaac Newton

Masherbrum David Lama

Sofort fühlen wir uns unwillkommen. Um uns herum türmen sich riesige Wände auf. Von Séracs ausgelöste Lawinen zeugen unüberhörbar von dem, was auf dem Spiel steht. Als der Schnee auf etwa 5000 Metern steiler wird, verlieren wir langsam unsere Zuversicht. Der Schnee ist weich und tief von der Hitze. Wir kommen nur langsam voran. Als wir einen kleinen Grat erreichen – ein verhältnismäßig sicherer Platz in dieser rastlosen Wand – ist es Zeit, eine Entscheidung zu treffen. Aus dieser Perspektive sieht die Wand, wie sie sich von oben über uns beugt, noch bedrohlicher aus. Die Verschneidungen münden in Dächern. Zwischen uns und der Gipfelwand liegt ein weniger steiler Wandteil, ein Labyrinth aus Fels, Eis und Schnee, in welchem man keinen auch annähernd sicheren Biwakplatz finden kann. Nachdem wir uns stundenlang durch hüfttiefen Schnee gekämpft haben, bleibt uns nicht genug Zeit um einen sicheren Schlafplatz am oberen Ende des ersten Wandteils zu finden, und hier, im unteren Teil der Wand, ist Warten ausgeschlossen. Der Berg verwandelt sich in einen überladenen Mund, der in beunruhigenden Abständen Séracs und Lawinen speit.

David Lama am Masherbrum

Blumen wachsen aus den Rissen, an welchen wir vorbei abseilen. Gibt es in dieser Wand je gute Bedingungen? Ein weiterer Versuch am Masherbrum wird zuerst vom schlechten Wetter und dann vom vielen Neuschnee unmöglich gemacht.

Ein Rückzug vor dem Beginn der eigentlichen Schwierigkeiten; das kenne ich aus den Berichten früherer Expeditionen, die den Masherbrum ebenfalls über die Nordostwand versuchen wollten. Als die Sonne hinter der Nordkante verschwindet, seilen wir über einen Felspfeiler ab. Hier sind wir vor den Lawinen, die rechts und links von uns alles in die Tiefe reißen, geschützt. Eine dieser Lawinen geht gerade über das Schneefeld ab, über das wir vor Kurzem noch aufgestiegen sind. Wir haben die richtige Entscheidung getroffen.

Masherbrum David Lama

Peter Ortner und ich sind vor zweieinhalb Monaten zur Masherbrum Nordostwand zurück gereist, zusammen mit Hansjörg Auer, der zum ersten Mal dabei war. Eigentlich ist die Unternehmung bis zu dem Moment, als wir eingestiegen sind, schnell zusammengefasst: Wir haben uns am Broad Peak akklimatisiert, sind dort bis auf 7000 Meter aufgestiegen und haben dann unser Basislager auf eine Moräne, nahe dem Masherbrum, unserem eigentlichen Ziel, verlegt. Während dem Umzug war das Wetter schon gut.

Masherbrum David Lama

Die Träger hatten auf den letzten wenigen hundert Höhenmetern ihren Dienst verweigert und so waren wir zwei anstrengende Tage damit beschäftigt, alles hoch zu tragen und unser Basislager einzurichten. Als endlich alles stand, starteten wir unseren Versuch.

Wir waren mit großem Selbstvertrauen losgezogen, sicher, dass dies der entscheidende Versuch sein würde. Unsere Rucksäcke waren sorgfältig gepackt – nur das absolute Minimum an Material war dabei, so leicht wie möglich war die Devise. Schlussendlich kamen wir auf 12 Kilo Gepäck für jeden inklusive Essen für fünf Tage, welches wir letztlich auf 10 Tage strecken wollten. Bei diesem Unternehmen würde es keinen halbherzigen Versuch geben. Selbst das Tal, welches zum Wandfuß führt, war noch nie beschritten worden. Wir hatten keine Informationen über das, was uns erwarten würde. Uns blieb nur eine grobe Vorstellung. Das war also die viel zitierte weiße Leinwand.

Jetzt wissen wir, dass wenn wir die Masherbrum Nordostwand noch einmal versuchen wollen, wir uns wie ein Anfänger, der seine ersten Schritte beim Felsklettern erlernt, auch auf diese Herausforderung einlassen müssen.

Wir werden unsere jetzigen Vorstellungen hinterfragen müssen, denn diese Wand zu klettern hat nichts mit dem gemein, was wir drei bislang in unserer Kletterlaufbahn erlebt haben. Sie ist so neu und so schwierig, dass ein Erfolg schwer vorstellbar ist.

Es gibt einige Eigenschaften, die den Masherbrum von anderen Sieben- oder Achttausendern unterscheiden. Manche dieser Unterschiede sind offensichtlich - so wie seine Größe, Schwierigkeit oder Abgeschiedenheit - andere jedoch wurden für uns erst ersichtlich, als wir eingestiegen waren. Bei perfekten Bedingungen in jedem einzelnen Teil der Wand und einem idealen Verlauf ist ein Durchstieg eventuell möglich. So wie die Dinge bei unserem Versuch standen, ist es sicher zu sagen: Unmöglich.

Ein Versuch an der Masherbrum Nordostwand ist ein gewichtiges Experiment. Die Chancen es zu schaffen sind weiterhin sehr bescheiden. Wir wissen so gut wie nichts über diese Wand.

Masherbrum David Lama

Obwohl uns der Berg mehr oder weniger am Wandfuß abgeworfen hat, zieht mich etwas zu ihm zurück. Wenn man bedenkt wie weit wir gekommen sind, kann man unseren Versuch als nicht erwähnenswert betrachten. In Wirklichkeit aber war diese Aktion eine der bedeutendsten Erfahrungen, die ich je gemacht habe. Das alles macht die Masherbrum Nordostwand zu einem Ziel, welches man nicht jedes Jahr Schlag auf Schlag versucht. Andererseits sind es genau die Gründe und Tatsachen, welche das Projekt unmöglich erscheinen lassen, die mich antreiben.

Eine Expedition wie diese sorgt bei mir zum einen für Enttäuschung, zum anderen jedoch auch für Erleichterung. Enttäuschung wegen dem Aufwand, um physisch und psychisch bereit zu sein, ein solches Unterfangen durchzuziehen, um es am Ende nicht zu schaffen. Erleichtert, weil wir alle gesund nach Hause fahren, und die Augen auf neue gemeinsame Abenteuer richten können.

Masherbrum David Lama
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